STUTTGART. Karfreitag - unbestuhlt, Bierbecher in der einen Hand, Zigarette in der anderen. 55 Grad Celsius im Raum, heiße Musik von der Bühne. Popgemäßes Star-Gehabe - der Funk-Spezialist Maceo Parker eröffnet die 16. Internationalen Theaterhaus Jazztage Stuttgart. Der Altsaxofonist lässt seine Show perfekt inszenieren, doch geht dabei jazzimprovisatorische Unmittelbarkeit nicht verloren, auch wenn immer wieder Rap-Riffs eingestreut werden. Will Boulware entwickelt auf der Hammond-Orgel enormen "drive", nicht minder agil der Trompeter Ron Tooley bei seinen Höhenflügen. Rodney "Skeet" Curtis und Jerome Thomas sorgen dafür, dass der Zeitgeist mit "bass & drum" nicht vernachlässigt wird.
Maceo Parker blieb dann die einzige amerikanische Kultfigur des österlichen Festivals. Werner Schretzmeier besann sich mehr auf einheimische Kräfte, die sich für ihre Einladung alle artig bedankten. Auch ohne große Publikumsmagneten fühlte sich das Publkum vom Programm angezogen.
Im zweiten Konzertabend wurden in einer "Anniversary Night" runde Geburtstage dreier Trompeter gefeiert. Herbert Joos, am 21. März 1940 in Karlsruhe geboren, war davon mit 60 Jahren der "Youngster" und auch stilistisch der progressivste. Ein paar oben liegende Klangströme des badischen Wahl-Stuttgarters, dann freilich viele Balladenhaftes und Bluesiges. Für weltmusikalische Parts sorgte im Quartett "Aspects" der österreichische Altsaxofonist und Flötist Wolfgang Puschnig, ein Kollege vom "Vienna Art Orchestra". Der Kanadier Kenny Wheeler (* 14.1.1930 in Toronto) lässt auch als 70-Jähriger gerne mal "Attacken" los, setzt ebenfalls gerne einen
Dämpfer auf und intoniert mal einen Tango. Als intensiver Duo-Partner bewährte sich der Engländer
John Taylor am Piano. Durch seine Mitgliedschaft im "United Rock + Jazz Ensemble" gilt Wheeler fast schon als einheimisch in der schwäbischen Metropole.
In vielen Facetten feierte Ack van Rooyen, lange Jahre in der Villa Berg bei Erwin Lehn und seinem SDR-Tanzorchester, tätig sein 70. Wiegenfest. Am Neujahrstag 1930 wurde der stets lyrisch gebliebene Flügelhornist in Den Haag geboren, und das Zusammenspiel mit dem Nachwuchs hält ihn musikalisch jung - sei es im Duo mit dem aus Waiblingen kommenden Jazz-Professors Joerg Reiter am Flügel, einem Sextett (inklusive der beiden Heller-Brüder aus Köln) - oder einer grandios aufspielenden All Star Formation vom "BuJazzO", dem von Peter Herbolzheimer betreuten Bundesjugendjazzorchester.
Bereits 1986, bei den 2. Jazztagen im Wangener Theaterhaus, hieß das Motto "Stuttgart - Jazzstadt". Jetzt also - aus Kostengründen oder nicht - eine Neuauflage mit nachgewachsenen und herangereiften Künstlern. Der gebürtige Este Kristjan Randalu fiel 1996 beim Wettbewerb "Jugend jazzt" als überragender Tastenvirtuose auf und war auch beim klassischen Pendant "Jugend musiziert" erfolgreich. Der 21-Jährige ist derzeit Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg - und negiert etwaige Grenzen zwischen ordinärem Jazz und "Kunstmusik". Ein brillanter Techniker aus einem hochmusikalischen Elternhaus, das nun in Karlsruhe steht.
Gefiel sich Randalu als Solist, so lebt der aus Trier kommende Pianist Patrick Bebelaar von der Kommunikation und Interaktion in der Gruppe. Seine Musik strahlt irgendwie eine morbide Schönheit aus: ein interessantes Changieren von Wohlklängen und Kaputtem. Im November 2000 wird Bebelaar den Jazzpreis Baden-Württemberg erhalten. Im Theaterhaus trat er mit seinem langjährigen Partner Frank Kroll (Saxofon) an sowie dem Mangelsdorff-Bassisten Günter Lenz, der zuvor auch bei einer CD-Produktion beteiligt war.
Der Pianist Ralf Schmid praktiziert mit dem Bassisten Veit Hübner und dem Drummer Thorsten Krill einen verhältnismäßig konventionellen Jazz -
und damit gewann das Stuttgarter Trio in Köln den "Hennessy Jazz Search". Blockakkorde haben es Schmid angetan und er verehrt im Repertoire Michel Petrucciani und George Gershwin.
Das Lokal "Roger's Kiste" darf getrost als das Szene-Lokal der Landeshauptstadt betrachtet werden.
Aus der verrauchten Enge der üblichen
Montagnachtsessions ging es jetzt auf die große Festival-Bühne. Die sinnfällig so genannte "Band in the Box" zollte nun John Coltrane den Tribut. Der Tenor- und Sopransaxofonist Libor Sima, hauptberuflich als Fagottist im Stuttgarter Radiosinfonieorchester tätig, arrangierte Coltrane-Hits mit klanglichen Raffinessen und kopierte in den expressiven Soli doch nicht den Free-Jazz-Innovator.
D ie legendäre "Energy Band" des in Marbach wohnhaften Gitarristen Lothar Schmitz, ebenfalls ein zuverlässiger "Kiste-Jazzer", wurde jetzt wieder reanimiert. Geblieben ist das kraftvolle Musizieren mit dem Trompeter Claus Stötter und dem Posaunisten Ernst Hutter an der bläserischen "frontline". Zum späten Abschluss des Konzerts "Stuttgart - Jazzstadt" legte sich das Sextett mächtig ins Zeugs. Und dies ist in Ton und bewegtem Bild individuell im Internet nachzuerleben. Unter der Zugangsadresse "www.globaltv.de" kann man kostenlos Mitschnitte vom österlichen Festival auf den
h eimischen Computer holen. Das öffentlich-rechtliche Radioprogramm "SWR1" trat zwar als
Präsentator auf, doch die multimediale Auswertung besorgt die in Herrenberg ansässige Firma.
Da für das mit "Polyphonic Night" betitelte Finale zwei Glasfaserleitungen geschaltet wurden, geriet diese Veranstaltung nicht nur musikalisch zum globalen Ereignis: eine "live"-Sendung übers Internet im Breitbild-Mini-Format, eingefangen von zwei Videocameras. Der in Paris lebende Vietnamese Nguyên Lé besann sich wieder seiner heimatlichen Traditionen, welche er mit rockiger und experimenteller West-Gitarre verknüpfte. Authentisches von Südostasien steuerten die Sängerin Huongh Thanh und der Saitenzupfer Hao Nhien bei. Akustische Grazilität konnte sich hier sehr wohl mit elektronischer Technik verbünden.
In Südkorea, so wird verlautbart, findet das Stuttgarter Quintett "SaltoCello" beträchtliche Resonanz. Saxofonist Peter Lehel, Bassist Mini Schulz und Schlagzeuger Herbert Wachter sind in der örtlichen Jazzszene tatkräftige Instrumentalisten.
Aber zusammen mit dem Cellisten Wolfgang Schindler und dessen Klavier spielenden Bruder Peter haben sie ein grenzüberschreitendes Konzept entwickelt, das in Asienm Violoncello zu - Jazziges und Kammermusikalisches vereinen sich mit lateinamerikanischen Rhythmen und koreanischem Liedgut.
Ennio Morricone ist nicht der erste Filmkomponist, der jazzig aufbereitet wird. Der Hannoveraner Pianist Jens Thomas hat sich des berühmten Italieners, dessen ambitioniert-avantgardistischen Werke der breiten Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt sind, angenommen und überaus gelungen ausgewertet. Voller Dramatik ertönt nun das Lied vom Schicksal der beiden
A l mir das Lied vom Tod" erzeugt im Duo mit Antonello Salis auf dem Akkordeon die totgeweihten (Mund-)Harmonika-Töne. Salis, das ist ein korsischer Naturbursche, der archaisch-authentisch Volkstümliches ausstrahlt und zugleich wie Zeitgenössische Tonkunst à la Donaueschingen klingt. Da fühlt man sich an Ligetis "Volumina" oder Lachenmanns "Guero" erinnert. Wirklich ein reizvolles Unternehmen von Jens
Thomas, der auf den kommerziellen Erfolg seiner CD hoffen darf.
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