STUTTGART. Der zweite Festivaltag wartete mit einem großen Namen und (trotzdem?) mit einem absoluten Highlight auf. Dave
Brubeck hat mittlerweile 80 Jahre auf dem Buckel und etliche Bypass-Operationen hinter sich, einen Altersmitleidsbonus brauchte der Pianist allerdings nicht einfordern. Wackelig auf den Beinen ist er zwar, doch mit hellwachem Blick verfolgte der Pianist seine Mitspieler, um genau reagieren und akkordliche Akzente setzen zu können. Die polystilistische Tour begann mit dem „St. Louis Blues“ und streifte auch das unvermeidliche „Take Five“. Selbst vertrauten Themen gewann Brubeck neue Aspekte ab, so auch Gershwins „I Got
R hythm“ mit verqueren harmonischen Wendungen. Noch nie galt Dave Brubeck als
Super-Swinger, aber was der coole Meister im vollbesetzten Hegelsaal der Liederhalle bot, geriet in der (kompositorischen) Konzeption und zuweilen auch im starren Rhythmus, der zu Rock und Barock tendierte, stets spannungsreich. Mit Feingefühl und Intelligenz schafft man letztendlich doch mehr Qualität als mit elektronischer Brachialgewalt...
Für viele Zuhörer überraschend gut stieß Bobby Militelli ins Horn: schwergewichtig von Statur, aber überaus schlank und temperamentvoll in Phrasierung und Linienführung. Da führte der Altsaxofonist weg von Paul Desmond - hin zu Charlie Parker, und selbst free-jazzige Klangströme verabscheute er nicht. Auch der weniger auffällige Schlagzeuger Randy Jones ist ein langjähriger Mitspieler Brubecks, während Bassist Michael Moore kurzfristig in das aktuelle Quartett aufgenommen wurde. Der auf Long Island als Kontrabass-Professor tätige Saitenkünstler beeindruckte besonders durch seine saubere Streicharbeit mit Bogen.
N ochmals Altherren-Jazz sodann bei den „West Coast All Stars“. Recht rüstig zeigten sich die Jazz-Legenden Conte Candoli (Trompete), Teddy Edwards (Tenorsaxofon) und Carl Fontana (Posaune) – ein nette Nostalgie „live“ und authentisch. Aufregend Neues passierte hier nicht mehr. In dieser distinguierten Runde werden sich die profilierten Männer wohl nie wieder treffen können. So war es sinnvoll, das Konzert in Bild und Ton mitzuschneiden. Auch der Auftritt vom „Dave Brubeck Quartet“ wurde digital konserviert. Der Sendetermin im Regional-TV-Programm „Südwest“ steht noch nicht fest, außerdem soll das erstellte Video weltweit Fernsehsendern angeboten werden.
Auf dem Vorplatz lauschte stehend und auf Treppenstufen hockend derweil ein jüngeres Publikum zwei von
Trompetern angeführten
Bands. Der von „Tab Two“ her bekannte Joo Kraus vollführte mit seiner „Advanced Combo Funk“ einen hyperaktiven HipHop, wuselig und mitreißend. Mehr Techno-Gedröhne ließ der norwegische Newcomer Nils Petter Molvaer erschallen, brachte jedoch auch lyrische Momente ein. Ohne Regen ging auch am späten Samstagnachmittag das dritte Konzert auf dem Bosch-Areal vonstatten. Latin-Jazz diente als gemeinsamer Nenner von vier Ensembles. Nach „Quartiere Latino“ des in Stuttgart lebenden italienischen Bassgitarristen Franco Petrocca wirkte die kubanische Vokalistin Maria Ochao relativ eintönig. Über ein mädchenhaftes Timbre verfügt die Vokalistin Bebel Gilberto, unweigerlich fühlt man sich da an Astrid Gilberto erinnert: Bossa Nova voller Leichtigkeit. Kraft und Unbeschwertheit kombinierte schließlich der in Marbach/Neckar wohnhafte Gitarrist Lothar Schmitz. Fetzige Bläsersätze und die vitale Perkussionsarbeit (Hector René Colon, Birgit von Straelen) verfehlten ihre Wirkung bei dem Projekt „Mambebop“ nicht.
Verband Lothar Schmitz lateinamerikanische Rhythmen mit Charlie Parker, so widmete der Journalist Werner Stiefele und nunmehr Leiter der Dienststelle Kulturinformation der Stadt Stuttgart, dem Bebop-Revolutionär eine „Sprechoper“. Stiefele kreierte und besorgte bei „Bird and Soul“ kenntnisreich die Texte, die vielfach von Drogen, Sex und Business handelten, und der Schauspieler Klaus Hemmerle interpretierte diese aktionsreich und sehr musikalisch. Das Trio um den Pianisten Frank Bebelaar verzichtete bewusst auf Parker-Zitate, vielmehr setzte es im Schillersaal die dramatische Stimmungslage gewitzt in Musik um.
Im unbestuhlten Hegelsaal war währenddessen Fusion angesagt. Das Stuttgarter Quartett „orbit.experience“ ging einen außergewöhnlichen Pakt ein, und zwar mit dem einst von Karl Münchinger gegründeten Stuttgarter Kammerorchester. Das seriöse Streicherensemble hatte aber recht einfache Arbeit zu leisten. Meist herrschten romantische Kantilenen vor, suggestive Hörerlebnisse wie bei herkömmlicher Filmmusik wurden konstruiert. Der auch an Keyboards fingernde Trompeter Sebastian Studnitzky fungierte noch als Dirigent, und am Schlagzeug saß Florian Dauner, der ja mitunter bei den Fantastischen Vier aushilft.
Mit Knebelverträgen versuchte das Management der französischen Formation „St. Germain“, die freie Fotoberichterstattung zu behindern. Der im Hintergrund thronende „Maschinist“ Ludovic Navarre fühlt sich offensichtlich als Mega-Star und liefert die entsprechenden Allüren gleich mit. Ohne musikalischen Tiefgang zelebrierte er Techno unter der Bezeichnung „French Touch“. Freilich: auch Ludovic Navarre und sein Septett fanden zu mitternächtlicher Stunde ein begeistertes Publikum.
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